Exposé
Am 9. November 1989 kurz vor Mitternacht wurden in Berlin wie von Geisterhand für jedermann die Grenzübergänge der Mauer auf der Ostseite geöffnet. Es strömten bis zum nächsten Morgen etwa 100.000 Ostberliner nach Westberlin. Bis zu diesem Zeitpunkt waren Privatreisen in den Westen nur in Einzelfällen möglich und für Rentner.
Dieser Tag markiert den Beginn vom Ende der Deutschen Demokratischen Republik, die 1949 am 7. Oktober gegründet worden war und die nur durch den Mauerbau am 13.08.1961 so lange überleben konnte.
Die Bundesrepublik Deutschland (BRD) und die Deutsche Demokratische Republik (DDR) wurden am 3. Oktober 1990 auf Vorschlag der Sowjetunion und der drei westlichen Alliierten USA, Großbritannien und Frankreich, die Deutschland seit Ende des 2. Weltkrieges militärisch besetzt hielten, vereinigt.
Schon 1986 machte sich der sowjetische Außenminister Schewardnadse Gedanken um die Wiedervereinigung Deutschlands. Honecker war 1987 in einem Meeting mit Gorbatschow und Schewardnadse kategorisch gegen deren Vorschlag, die Mauer zu beseitigen. Detailliert wird anhand öffentlich zugänglicher Information gezeigt, wie der Mauerfall am 9. November 1989 unblutig erfolgte um damit den Weg zur deutschen Wiedervereinigung, wie von der Sowjetunion gewünscht, freizumachen.
Bisher wird der wahre Ablauf des Mauerfalls vom Westen und den Russen aus unterschiedlichen Gründen geheim gehalten. Beide sprechen offiziell von den „friedlichen Revolutionären“ die am 9.11.89 einen solchen Druck auf der Straße aufbauten, dass die Grenzsoldaten in Berlin gezwungen waren, die Übergangsstellen zu öffnen. Mehr dazu im Buch.
Jedoch mehren sich seit 2019 alternative Stimmen, die andere Aussagen treffen:
•Der bekannte deutsche Politologe und Russland-Spezialist Dr. Alexander Rahr, nannte am 8. November 2019 in einem Interview mit der Zeitung des russischen Parlaments erstmals diesen Grund für den Mauerfall und wie er von den westlichen Medien uminterpretiert wird:
„Wir alle erinnern uns daran, dass die Berliner Mauer aufgrund der sowjetischen Perestroika zusammenbrach, während der Moskau im Rahmen der Transformation und der Reformen einen gewissen Druck auf die DDR Führung ausübte.
Als Folge dieses Drucks öffnete Ostdeutschland seine Grenzen.
Im modernen Deutschland werden die Ereignisse von 1989 als ein bedingungsloser Sieg des Westens gefeiert, der so stark war, dass er die Mauer niederriss”, so der Experte. Seiner Meinung nach muss sich der Westen in dieser Erzählung anerkennend auf die Schulter klopfen, seine Überlegenheit zeigen, den Sieg demonstrieren, den es eigentlich gar nicht gab.“
•Der im Oktober 1989 gewählte Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (Kommunisten), Egon Krenz, veröffentlichte in seinem Buch Wir und die Russen – Die Beziehungen zwischen Berlin und Moskau im Herbst ’89 im Jahr 2019 erstmals diese Information über sein Gespräch mit dem sowjetischen Botschafter am Morgen des 10. November 1989, nur wenige Stunden nach der Grenzöffnung in Berlin. Der Botschafter sagte zu ihm, auf die sowjetischen Geheimdienste GRU und KGB anspielend:„Bedenken Sie aber bitte auch, dass ich zwar der sowjetische Botschafter bin, es gibt aber noch andere sowjetische Institutionen in der DDR, über die ich nicht Bescheid weiß.“ (Seite 259)
•Dr. Peter-Michael Diestel, der letzten Innenminister der DDR, nannte in einem Interview mit Sputniknews.com vom 07.06.2020 erstmals nach dem Mauerfall die Anzahl der informellen ostdeutschen KGB-Mitarbeiter in der DDR
…. “ Und der KGB hatte ja wohl auch noch 50.000 Leute in der DDR“.
•Diestel schreibt 2019 in seinem Buch In der DDR war ich glücklich. Trotzdem kämpfe ich für die Einheit (Seite 211): “Zwei Generäle aus meiner unmittelbaren Umgebung offenbarten sich mir unter vier Augen. Ich bin der und der, habe das und das gemacht und bin auch Offizier der Sowjetarmee. »Das sind Sie nicht«, antwortete ich. »Sie sind General im Innenministerium der DDR und ich bin Ihr Chef.«“
Mein Buch zum Mauerfall erschien 2019 im September, wenige Wochen vor dem 30. Jahrestag des Mauerfalls. Ich beschreibe in meinem Buch erstmals nach Indizien, wie die Sowjetunion am 9. November 1989 diesen Druck auf die DDR ausübte. Die sowjetischen Geheimdienste übernahmen an diesem Tag mit Hilfe ihrer Agenten in den Behörden der DDR die Macht über die Sitzung des Zentralkomitees, Medien und das Grenzregime und realisierten durch Tricks und Täuschung die unblutige Grenzöffnung.
Da ich aus nachvollziehbaren Gründen für mein Buch keinen Verlag in Deutschland fand, veröffentlichte ich als Self-Publisher bei Amazon. Von alternativen Medien erhielt ich Ablehnung, aber auch Zuspruch. Sie finden dazu mehr unter Forum.
Nur eine von etwa 30 angeschriebenen Tageszeitungen brachte eine Rezension. Und trotzdem konnte ich schon viele Bücher verkaufen, obwohl es über drei Monate Corona- Stillstand gab. Der Vertrieb erfolgte wie bei einem Samizdat in alten sozialistischen Zeiten.
Gorbatschow wurde im März 1985 gewählt und trat mit dem Konzept von Perestrojka und Glasnost an. Was man darunter verstand, wurde im Osten und Westen unterschiedlich interpretiert.
Heute wissen wir, dass darunter auch das Konzept des Rückzugs aus den Vereinbarungen von Jalta und die Beendigung des Sozialismus in der UdSSR und den sozialistischen Ländern des Warschauer Paktes verstanden wurde.
Das Wissen um die Einführung der Marktwirtschaft und Privatisierung des Volkseigentums durch die kommunistische Führungselite gehörte ebenfalls dazu – so man zu den wenigen Eingeweihten in Ost und West gehörte. Dazu im Buch mehr.
Um Spekulationen vorzubeugen: Ich gehörte nicht zu den Eingeweihten, aber ich war von 1986 bis 1990 als Verbindungsmann des DDR-Außenhandels zu einer Fortune 500 US Corporation intimer Beobachter an der Schnittstelle Ost/West und registrierte Ereignisse, die ich mir damals nicht erklären konnte.
Von 1970-74 hatte ich an der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst Außenhandel studiert und gelernt, wie Lenin schon 1918 das sozialistische Außenhandelsmonopol theoretisch begründete und den Außenhandel dann staatlich monopolisierte. Damit erfolgte eine Abkopplung vom internationalen Markt und konvertierbaren Währungen.
Eine Nebenbemerkung zu Karlshorst: Das war der Ostberliner Stadtteil, wo am 8. Mai 1945 die Generäle der deutschen Wehrmacht die Kapitulationsurkunde unterschrieben. Dieser Stadtteil war seit dieser Zeit und dann bis 1994 fest in sowjetischer Hand. Die KGB Residentur für die DDR mit mehr als tausend Mitarbeitern befand sich dort, wie auch der Amtssitz des Metropoliten der russisch-orthodoxen Kirche für Berlin und Mitteleuropa. Viele Besitzer von Einfamilienhäusern waren 1945 enteignet worden und dort lebten ausschließlich sowjetische Militärangehörige und Mitarbeiter des KGB. Die Deutschen nannten es „Klein Moskau“.
Das Studium des Außenhandels war mit einer guten Ausbildung in den Sprachen Russisch und Englisch verbunden. Danach arbeitete ich im Außenhandel. Im Sommer 1985 suchte ich einen neuen Job und erhielt das Angebot, als kommerzieller Mitarbeiter im Büro eines US-Konzerns in Ostberlin zu arbeiten. Das Büro wurde von der Schweizer Osteuropa- Tochter geführt.
Damit besser verständlich wird, warum ich über den Mauerfall anders denke als Politiker und Medien, möchte ich den Leser kurz zu einer Besonderheit der DDR informieren – die es im Vergleich zur Sowjetunion und den anderen europäischen sozialistischen Ländern mit Lenins Außenhandelsmonopol nicht gab.
Bereits 4 Jahre nach Gründung der DDR 1949 etablierte der Staat „private“ Außenhandelsfirmen, die all das beschafften, was westliche Unternehmen durch die CoCom Regelungen dem Osten nicht liefern durften (Coordinating Committee on Multilateral Export Controls, gegründet von den USA 1949).
Einige dieser Firmen mit ihren Tentakeln tief im Westen dienten im Kalten Krieg bis 1989 auch der Sowjetunion als Embargo-Brecher.
Diese Strukturen entwickelten sich nach dem Mauerbau am 13. August 1961 sehr rasch weiter, indem 1966 ein eigener (abgeschotteter) Bereich im DDR-Ministerium für Außenhandel geschaffen wurde, dem dann 25 Jahre später im Jahre 1990 bei der Abwicklung etwa 3.000 Mitarbeiter in der DDR angehörten. Dieser Bereich bestand 1990aus etwa 150 Firmen bzw. Firmenbeteiligungen in der DDR und im westlichen Ausland.
Er nannte sich Bereich kommerzielle Koordinierung (KoKo).
Rückblickend könnte man ihn auch als Sonderwirtschaftszone ohne festes Territorium bezeichnen. Auch in der Sowjetunion und den Ländern des Warschauer Paktes kannten nur wenige Eingeweihte der Partei- und Sicherheitsbehörden in Umrissen, welche Aufgaben KoKo hatte.
KoKo wurde als kapitalistische Insel in der DDR konzipiert, kontrolliert und abgeschirmt von der Stasi. Es gab zu DDR-Zeiten keine amtlichen Informationen zu den Sonderrechten dieser Struktur. KoKo unterstand offiziell dem Ministerium für Außenhandel. Das Ziel war Devisen-Erwirtschaftung um jeden Preis. Ohne KoKo wäre die DDR schon 15-20 Jahre eher zerfallen, dann aber vermutlich blutig.
Zu diesen Firmen im Bereich KoKo gehörte auch das, am Ostberliner Bahnhof Friedrichstraße gelegene Internationale Handelszentrum (IHZ).
Ein leitender Manager des IHZ – mit dem ich gemeinsam studiert hatte – sagte mir im September 1985 im Vertrauen, dass sie schnellstmöglich für vier plötzlich neu angekommene US-Konzerne Mitarbeiter finden müssten. Das war aber nicht einfach, diese musste Reisekader für den Westen sein.
West-Reisekader waren rar gesät, denn die Anforderungen waren hoch und nicht jeder wollte oder konnte sie erfüllen (Bspw. keine privaten Westkontakte, Treue zur DDR, ideologisch gefestigt etc.). Und kein Außenhandelsbetrieb gab gern diese Kader ab.
Einige Monate später erklärte er mir: Alles stünde unter Kontrolle von Honecker. Der wollte nämlich nach seinem für 1987 geplanten Empfang durch Kanzler Kohl in Bonn zum Ende seiner Karriere auch in Washington begrüßt werden. Da passten Repräsentanzen bedeutender US-Firmen in der DDR sehr gut in die politische Landschaft.
Ich fragte, warum mit einem Schlag im Herbst 1985 vier US-Konzerne Büros in Ostberlin haben wollten unter ausdrücklichem Wunsch, Ostberliner Mitarbeiter einzustellen. Sie hätten ja Westberliner nehmen können (Visa waren für eine Beschäftigung in den Büros im IHZ kein Problem). Ich erhielt die Antwort, dass man im Angebot geschrieben habe:
„DDR-Bürger mit Zugang zu den Entscheidungsträgern“ und die Firmen hatten sich darauf bezogen. Auch das eine Formulierung wie Perestrojka. Jeder konnte sich alles darunter vorstellen.
Ostdeutsche Mitarbeiter waren aus Sicht der Firma nicht billiger. Die Firma zahlte an das IHZ eine Gebühr auf der Basis Westberliner Löhne in Dollar und die Mitarbeiter erhielten ihr Gehalt nach dem Tarif des Außenhandels in Mark der DDR.
Der Parteisekretär erläuterte mir einmal, dass es die gestiegene internationale Bedeutung der DDR und die großen wirtschaftlichen Möglichkeiten seien, die die US-Konzerne erkannt hätten und darum ein Büro in der Hauptstadt der DDR anmieten wollten.
Ich schwieg. Hatten doch alle diese US-Konzerne in der Bundesrepublik Niederlassungen, die aber aufgrund eines Alliierten Militärgesetzes keine Zweigstellen in der Sowjetisch Besetzten Zone bzw. später in der DDR haben durften. Deshalb war eine Repräsentanz nur über andere Länder möglich. Aber warum wollten einige Konzerne bewusst keine Westberliner oder BRD-Bürger als Mitarbeiter einstellen? Wollten sie dem westdeutschen Nachrichtendienst keinen Einblick geben?
Anfang 1986 war der Andrang westlicher Firmen, die ein Büro in Ostberlin mieten wollten so stark, dass KoKo ein weiteres Gebäude neben dem IHZ plante und rasch mit dem Bau begann. Es wurde dann 1989 fertig, wenige Monate vor Abwicklung des Bereichs KoKo. Wie heißt es in einem chinesischen Sprichwort? Ist das Haus fertig, kommt der Tod.
Meinen Job begann ich im April 1986 als Leiharbeiter des IHZ im Büro des Konzerns.
Ich schrieb Angebote, verhandelte, suchte Waren für Gegengeschäfte (Barter). Ich hatte einen Pass mit unbegrenzter Anzahl von Ausreisen erhalten und war mehrmals in der Woche in Westberlin. Reisen zu Weiterbildungen in der Firma oder mit Einkaufsdelegationen folgten. Da KoKo die Zoll-Hoheit von der DDR-Regierung erhalten hatte, konnte ich bei Bedarf über meinen DDR-Vorgesetzten die „Grenze freischalten lassen“, sodass Fahrzeuge ohne Zollkontrolle die Grenze passieren konnten. Egal ob Aus oder Einreise, PKW oder LKW, Ost – oder West Nummernschild.
Dann fiel die Mauer, wie von mir im Buch nach Fakten und Indizien beschrieben. Und acht Wochen nach Mauerfall Mitte Januar 1990 kam mein Erwachen.
Sollte ich noch Mitte Dezember 1989, nach Weisung meines Schweizer Chefs die Gründung einer Vertriebsgesellschaft des Konzerns in der DDR einleiten, so teilte er mir Anfang Januar 1990 diese Entscheidung aus der US-Zentrale des Konzerns mit: Alle Aktivitäten zur Gründung der Vertriebsgesellschaft in Ostberlin einstellen. Es wird bald keine DDR mehr geben, wir integrieren unser DDR-Business in die westdeutsche Tochterfirma.
Gorbatschows Berater Portugalow gab in einem Interview am Mittwoch, den 24. Januar in der BILD-Zeitung den Auftakt für den Beginn der öffentlichen Diskussion der deutschen Einheit. Sein Credo: Die Sowjetunion hat nichts gegen die deutsche Einheit, sie wird nicht intervenieren. Ich hatte jedoch schon zwei Wochen vorher erfahren, dass es keine DDR mehr geben wird.
Nach den Volkskammerwahlen im März 1990 wurden Anfang April die politischen Weichen in Richtung „Ende der DDR und Anschluss an die BRD“ gestellt. Zum 1. Juli 1990 kam die Währungsunion. Da hatten wir schon unser Business in die westdeutsche Tochterfirma vollständig integriert.
Und seither grübelte ich: Waren die Amerikaner von den Sowjets 1985 über die wahre Bedeutung der Perestrojka informiert worden?
Im Buch zitiere ich den CIA Stationchief in Bonn von 1990, der 2004 in einer Konferenz in Berlin sagte, dass man sich in diesen Jahren regelmäßig mit den KGB-Spitzen in einem neutralen Land getroffen habe. Auch ein Exil-Ungar hatte schon 1985 einen Artikel verfasst zum geplanten Rückzug der Russen aus den Jalta-Gebieten in Osteuropa. Dazu mehr im Buch.
Hatten einige wichtige US-Konzerne deshalb bereits im Herbst 1985 Schlange gestanden bei KoKo? Wollten sie deshalb DDR-Personal? Weil sie im Wissen um kommende Ereignisse ihr profitables Geschäft in der DDR nicht allein den Westdeutschen überlassen wollten? War die Perestrojka der Grund, warum ab 1986 ein 2. Haus am IHZ in Berlin gebaut wurde?
Ist die Erzählung von den „friedlichen Revolutionären“ auch deshalb heute noch wichtig, um die wahre Geschichte des Mauerfalls und des daraufhin als Kollateralschaden erfolgten Zusammenbruchs der Sowjetunion und des sozialistischen Lagers zu verbergen?
In den nächsten Monaten läuft die 30-jährige Sperrfrist zu den Unterlagen aus den Jahren 1989/90 im Außenministerium in Moskau ab. Werden wir zu diesen Jahren erstaunliches erfahren – oder müssen wir weitere Jahrzehnte warten?
Könnte dann auch die wahre Geschichte der letzten Lebensjahre von Wladimir Semjonowitsch Semjonow dokumentiert werden? Nach Beendigung seiner Amtszeit 1986 als Außerordentlicher und Bevollmächtigter sowjetischer Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland verbrachte er seinen Lebensabend in Köln – so das deutsche Wikipedia.
Im russischen Wikipedia lesen wir, dass er im Rang eines Außerordentlichen und Bevollmächtigten Botschafters 1986 in Rente ging und am 18.12.1992 starb.
Das englische Wikipedia informiert allerdings, dass er als sowjetischer Sonderbotschafter und Berater von Außenminister Schewardnadse von 1986 bis zu seinem Tod 1992 in Köln/ Westdeutschland wohnte.
Semjonow selbst betitelte 1992 sein Buch Von Stalin bis Gorbatschow – ein halbes Jahrhundert in diplomatischer Mission 1939-1991. Das Buch hatte er für deutsche Leser geschrieben. Kann es nach Archivöffnung auch in Russland erscheinen?
Falls Sie nicht gleich darauf kommen, wer Semjonow war:
Er hatte als Botschaftsrat die Sowjetisierung Litauens 1939/40 vorangetrieben, war dann Botschaftsrat in Berlin und machte sich schon 1940 Gedanken, wie die Bodenreform (Enteignung der Großbauern) in Deutschland gestaltet werden müsse, für den Fall, dass die Rote Armee einmal nach Deutschland käme.
1943, als sowjetischer Botschaftsrat in Stockholm, informierten ihn oppositionelle Deutsche aus Wehrmacht und Abwehr über Details der geplanten Schlacht am Kursker Bogen, was die Sowjetunion dann in die Lage versetzte, diese Schlacht zu gewinnen und als Wende des 2. Weltkrieges in Europa politisch gegenüber den Westalliierten zu nutzen. Stichwort Jalta.
1945 konnte er, dank der von Stalin offenbar schon Anfang 1941 gebilligten Grundzüge der Bodenreform in Deutschland sofort beginnen, diese ab Juni 1945 administrativ umzusetzen und die ersten Enteignungen ab September 1945 zu vollziehen.
Er war dann politischer Berater der sowjetischen Militäradministration, erster sowjetischer Botschafter in der DDR und 1953 war er als Hoher Kommissar in Deutschland mitverantwortlich für die Niederschlagung des Putsches vom 17. Juni 1953. Danach war er bis 1978 stellv. Außenminister und wurde 1960 von Chruschtschow mit den Planungen zum Berliner Mauerbau beauftragt.
Von 1978 bis 1986 war er Außerordentlicher und Bevollmächtigter Botschafter in Bonn, der damaligen Hauptstadt der BRD.
Und ein Mensch mit dieser Biografie sollte als Rentner seinen Lebensabend in Köln verbracht haben – als pensionierter Sowjetbotschafter im kalten Krieg beim Klassenfeind? Warum kam mir beim Lesen dieser Mitteilung Alexander Afanasjew in den Sinn, vor 150 Jahren ein bekannter Sammler russischer Märchen?
Zurück zu den geheimen Kontakten beider Großmächte: Waren sie der Grund für den friedlichen Ablauf des Mauerfalls? Hatte man sich geeinigt, die DDR unblutig und besenrein auf Grundlage einer verdeckten Aktion zu übergeben? Um damit in der UdSSR jeden Verdacht auf ein Mitwirken am Mauerfall zu verschleiern, damit die Werktätigen nicht streikten (wie 1981 in Polen) oder die sowjetische oder DDR-Armee geputscht hätten?
Von April 1991 (3 Wochen nach Ratifizierung des 2 + 4 Vertrages zur deutschen Einheit durch die Sowjetunion) bis Ende 1997 arbeitete ich in Moskau, reiste viel im Land und traf Menschen, die in der DDR gedient hatten und mir ihre Geschichte erzählten.
Ich habe miterlebt, wie Russland mit der Nase blutig auf den Boden aufschlug und sehe jetzt, wie es sich mühsam wieder aufrichtet.
Im Frühjahr 1990 erklärten die drei baltischen Sowjetrepubliken ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Sie wurde dann nach dem versuchten Putsch gegen Gorbatschow im August 1991 vollzogen, die Republiken wurden international anerkannt und in die UN aufgenommen. Andere Sowjetrepubliken folgten.
Am 6. November 1991, dem Vorabend des Jahrestages der Großen sozialistischen Oktoberrevolution von 1917, verbot Boris Jeltzin in der russischen Sowjetrepublik die KPdSU.
Die UdSSR kollabierte politisch führungslos am 25.12.1991. Das sozialistische Experiment war vorerst beendet, in Europa kamen die Ideen von Marx, Engels und Lenin ins Archiv.
Ich wünsche Ihnen ein spannendes Leseerlebnis.
Michael Wolski
September 2019, Überarbeitet Juni 2020